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Werraversalzung

Die Werra ist der heute am stärksten mit Salz belastete Industriefluss in Mitteleuropa, eine Folge des Abbaus von Salzen in seinem Einzugsgebiet. Schon in der Zeit vor 1900 wurde hier Salz abgebaut, mit damals nur geringen und örtlich begrenzten Auswirkungen auf das Gewässer. Seit etwa 100 Jahren werden jedoch am Mittel- und Unterlauf Kalisalze industriell abgebaut, die Gruben liegen in den Bundesländern Thüringen und Hessen. Kalisalze (KCl und MgSO4) sind Grundstoffe für die Düngemittelindustrie und werden weltweit nachgefragt. Sie kommen in der Natur zusammen mit anderen löslichen Salzen und schwerlöslichen Mineralien vor, weil bei der erdgeschichtlich die Lagerstätten bildenden Meerwassereindampfung sich alle enthaltenen Salze in der Reihenfolge von den schwer zu den leicht löslichen Salzen abscheiden. Für die Düngemittelherstellung sind jedoch nur die zwei genannten Salze von Interesse, alles übrige Salz ist Abfall und wird hier auf drei Weisen entsorgt: durch Aufhaldung, durch unterirdische Verklappung im Plattendolomit und durch die Einleitung von gelöstem Abfallsalz in die Werra. Ein Teil der Salzfracht des Flusses stammt aus natürlicher Auswaschung, der größere Teil wird eingeleitet, und zwar derzeit bei Unterbreizbach (Ulster), Dorndorf (Werra) und Heringen (Werra). Diese künstliche Einleitung begann erst mit der industrielle Nutzung der Lagerstätten. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefährdete sie die Trinkwasserversorgung flussabwärts liegender Orte, beispielsweise der Stadt Bremen, woraufhin das Land Bremen in den 1920er Jahren einen Rechtsstreit gegen die Länder Preußen, Thüringen und Braunschweig vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich führte.
Danach wurden Grenzwerte für den Salzgehalt in der Werra festgelegt, damit die Stadt Bremen Wasser annähernd in Trinkwasserqualität fassen konnte. Die Grenzwerte für die Salzfracht der Werra wurden bis zum Jahre 1942 wiederholt gelockert, damals durften am Pegel Gerstungen 2500 mg/l Chlorid nicht überschritten werden. Jedoch wurde in den folgenden Jahren auch dieser Grenzwert nicht eingehalten, wozu vor allem beitrug, dass seit den 1960er Jahren die DDR die Verbringung unter Tage einstellte und alle Rückstände der Kaliaufbereitung in die Werra einleitete, mit katastrophalen Folgen. Bedeutsamster Schadstoff war und ist gelöstes Natriumchlorid. Hinzu kommen andere Kationen wie Calcium, Magnesium und nicht vollständig abgetrenntes Kalium sowie Anionen wie Sulfat. Diese starke Versalzung zerstörte das Süßwasserökosystem nahezu vollständig. So wurde die Wirbellosenfauna von natürlicherweise etwa 60 bis 100 Arten auf eine Biozönose von 3 Arten reduziert. Als Grundlage der Nahrungspyramide blieben in der Werra noch eine eingeschleppte neuseeländische Schnecke (Potamopyrgus antipodarum), ein Bachflohkrebs (Gammarus tigrinus), der im Brackwasser beheimatet ist und 1952 gezielt in die versalzte Werra eingebracht wurde, sowie ein Strudelwurm. Durch Anpassung entwickelte sich in der Werra ein Lebensraum, der eher einem Salzwasser- als einem Süßwasserökosystem gleicht.
Nach der deutschen Einheit ging der Kalibergbau in Thüringen darnieder und der Fluss erholte sich, ohne allerdings die Güte eines nicht salzbelasteten Gewässers zu erreichen. Bei Untersuchungen der letzten Jahre konnten anstelle von früher drei nun zehn Arten gefunden werden. Nicht salzbelastete Abschnitte der Werra bieten demgegenüber Lebensraum für dreißig bis vierzig Arten.
Das Kasseler Bergbau-Unternehmen K+S AG leitet seit Pfingsten 2007 zusätzlich salzbelastete Abwässer der Halde des Bergwerks Neuhof-Ellers an der Fulda in die Werra ein. Die zusätzliche Salzeinleitung sei aber noch im Rahmen der gesetzlichen Grenzwerte, so eine Unternehmenssprecherin. Umweltschützer kritisieren den zusätzlichen Salzeintrag, der über die Werra in die Weser fließt. Auf Initiative der Länder Hessen und Thüringen und des Unternehmens K+S AG konstituierte sich am 18. März 2008 der Runde Tisch „Gewässerschutz Werra/Weser und Kaliproduktion“. Er soll eine Lösung für das Problem der Werraversalzung erarbeiten. Da bisher 6 Mio. Kubikmeter (m³) in tiefe geologische Schichten versenkt wurden, die Genehmigungsbehörden aber ein Verbot dieses Entsorgungsweges angekündigt haben, muss auch deren Verbleib gelöst werden, nicht nur der Menge die bislang in die Werra geleitet werden.
Am Runden Tisch sitzen 25 Vertreter (Bundesländer, Gemeinden, Städte und Landkreise an Werra und Weser, Umweltverbände, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, Weserbund, IHK, K+S AG). Die Leitung hat Prof. Dr. Hans Brinckmann inne, ehedem Präsident der Universität Kassel. Bis zum Herbst 2009 sollte ein Konzept für eine Lösung vorgelegt werden, davor sollten alle denkbaren Maßnahmen auf ihre Machbarkeit und ihre Wirksamkeit hin untersucht werden. Außer Änderungen bei der Produktion, die den Anfall von zu entsorgendem Salz vermeiden oder vermindern könnten, sollten auch bessere Entsorgungswege erwogen werden, etwa durch deren direkte Einleitung in die Nordsee über eine Pipeline, die Eindampfung der Abfalllaugen und den untertägigen Versatz. Konkrete Konzepte lagen bis Ende 2009 jedoch noch nicht vor.

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